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Rezensionen Tiefenpsychologie
und Kulturanalyse

Tiefenpsychologie

Frieda Fromm-Reichmann – Pionierin der analytisch orientierten Psychotherapie von Psychosen

Autor*in:Gerda Siebenhüner
Verlag:Psychosozial-Verlag, Gießen 2005, 342 Seiten
Rezensent*in:Klaus Hölzer
Datum:07.03.2012

Sehr zu Unrecht gibt es bisher nur wenig Literatur zu Frieda Fromm-Reichmann, dieser imponierenden Ärztin und Psychotherapeutin, deren Lebenswerk für Psychiatrie und Psychotherapie wegweisend wurde. Ihre Hauptleistungen liegen in der tiefenpsychologischen Schizophrenie-Therapie und in der Entwicklung entsprechender theoretischer Konzepte. Sie hielt Psychosekranke für übertragungsfähig, intuitiv, empathisch einfühlbar und nonverbal-kommunikativ. Von der europäischen wie auch von der amerikanischen Kultur geprägt, entdeckte sie neben der verhängnisvollen Rolle der „schizophrenogenen Mutter“ auch die Heilkräfte von Mütterlichkeit in der Psychotherapie.

Die Autorin dieser neuen Fromm-Reichmann-Biographie, Gerda Siebenhüner, Dozentin und Psychotherapeutin aus Berlin, ist überzeugt, dass die aktuelle Diskussion um eine angemessene Psychosentherapie nicht darauf verzichten kann, die Pionierleistungen Frieda Fromm-Reichmanns auf dem Gebiet der psychoanalytischen Psychosentherapie zu würdigen. Neben der Biographie legt Gerda Siebenhüner eine Analyse der Werke Frieda Fromm-Reichmanns und ein Porträt ihrer Mentoren vor, die ihre Lehren und Behandlungsmethoden wesentlich geprägt haben. Darin finden sich die Organismustheorie des Neurologen und Psychiaters Kurt Goldstein, die Psychoanalyse Sigmund Freuds, das Psychosomatik-Konzept Georg Groddecks und die interpersonale Theorie Harry Stack Sullivans. Darauf  aufbauend entwickelte Frieda Fromm-Reichmann ab 1935 in den USA ihre intensive Psychotherapie, deren Erfolge großes Aufsehen in der Fachwelt erregten. Über den Bestseller Ich hab dir nie einen Rosengarten versprochen, (2000, Original 1964), brachte Joanne Greenberg (Künstlername Hannah Green) nach ihrer Heilung Frieda Fromm-Reichmanns Form der Psychosen-Therapie auch dem Laienpublikum nahe.

Wer mehr über die schizophrenogene Mutter, diesen umstrittenen Begriff Fromm-Reichmanns, und ihre Haltung der Mütterlichkeit, die sie zu ihren psychotischen Patienten einnahm, erfahren möchte, und wie man in Fachkreisen heute diese Konstrukte bewertet, wer sich für den Kampf zwischen „Biologisten“ und Psychoanalytikern aus den 70er und 80er Jahren interessiert, der wird in der vorliegenden Biographie einer anregenden Diskussion folgen können.

In einer kritischen Würdigung wird nicht nur gefragt, wen Frieda Fromm- Reichmann mit ihren Vorarbeiten inspiriert hat und welchen ihrer Erkenntnisse ein bleibender Wert zukommt, sondern auch, welche ihrer Defizite aus heutiger Sicht erkennbar werden. Dazu stellt Siebenhüner interessante Verbindungen her zwischen den Theorien, die implizit in den Schriften Fromm- Reichmanns enthalten sind, und wissenschaftlichen Theorien, die noch heute relevant sind. Insbesondere erörtert sie in diesem Zusammenhang gut verständlich die phänomenologische Beschreibung der Schizophrenie, die kommunikationstheoretischen und sprachphilosophischen Aspekte schizophrener Kommunikation wie auch die Persönlichkeitsdefizite schizophren erkrankter Menschen.

Gerda Siebenhüner macht deutlich, dass neuere Entwicklungen der Psychosentherapie, wie sie beispielsweise Frank Schwarz und Christian Maier in ihrem Lehrbuch Psychotherapie der Psychosen (2001) oder Yrjö O. Alanen in Schizophrenie (2001) darstellen, eine Synthese von biologischen und psychotherapeutischen Ansätzen befürworten, gegen die Fromm-Reichmann wohl keine Einwände vorgebracht hätte. Leben und Werk Frieda Fromm-Reichmanns werden in dieser neuen Biographie, von deren Lektüre neben Psychotherapeuten und Psychiatern auch interessierte Laien profitieren werden, außerordentlich umfassend gewürdigt.