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Rezensionen
ITGG Berlin - Rezensionen
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Ausstellungen

Donatello - Erfinder der Renaissance

Künstler*in:Donatello
Ausstellung:Gemäldegalerie Berlin
Rezensent*in:Matthias Voigt
Datum:27.12.2022

An einem sonnigen Dienstag Vormittag machte ich mich mit meiner Partnerin in die Berliner Donatello-Ausstellung auf. Am Bahnhof Zoologischer Garten stiegen wir in den Bus, der uns zur Gemäldegalerie bringen sollte. So chauffiert, durchquert man in einer kleinen Stadtrundfahrt die etwas heruntergekommene City des vormaligen Westberlin. Im Rahmen der Hauptstadt-Werdung musste auch die City West in Windeseile aufgemotzt werden. Der architektonische Zeitgeist hatte sich von der festgelegten Trauf-Höhen-Begrenzung des Hobrechtplans von 1875 befreit. Nachdem die Ausnahmen mit dem New York der Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts mithalten konnten, beschloss nun einhundert Jahre später der Berliner Senat einen Hochhaus-Leitplan. Wir empfanden wenig Erhabenes oder Erhebendes: Was sich uns davon durch die Bus-Fenster aufdrängte, ließ die Gedächtniskirche ganz verloren erscheinen in dem umgebenden Architektur-Beton-Design.

Als Bau der Nachkriegs-Moderne erstreckt sich links davon das Bikini-Haus. Nun schon 70 Jahre alt, gilt es inzwischen als eine Ikone der Nachkriegs-Architektur; der Denkmalschutz konnte das Gebäude vor der völligen Verrottung bewahren. Nun schon heiterer gestimmt, erlöste uns aus unserem Missfallen das wiederaufgebaute Elefantentor in der Budapester Straße, dem Südportal zum Zoo. Und schließlich tat sich nach einem etwas heruntergekommenen Übergang beim Großen Tiergarten das alte Botschaftsviertel auf. Wer noch die Bilder der ehemals verwilderten Grundstücke mit zugemauerten Villeneingängen im Westberlin vor dem Mauerfall vor Augen hat, dem zeigen sich nunmehr zwischen pompös-repräsentativen Neuanlagen noch einzelne der rekonstruierten klassizistisch-kühlen Bauten aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen.

Unser Bus kam gut voran, und bald standen wir vor dem noch nicht ganz vollendeten Kulturforum. Bemüht, seinem großen römischen Vorbild nahe zu kommen, beeindruckt das schräggeneigte Vorfeld, auf dem wir zum Eingang der Gemäldegalerie hinaufstrebten. Das schöne Gebäude von Hilmer und Sattler ist der erhöhte Eckpunkt des Ensembles von Philharmonie, Kammermusiksaal und Nationalgalerie samt der erhaltenen Stülerschen Matthäikirche. Weniger gelungen wirkt der Raumeindruck im Vestibul der Gemäldegalerie. Auch sieht man dieser Architektur an, dass hier der Bau-Etat offenbar keine allzu hochwertige Ausführung zuließ. Zwanzig Jahre der Alterung zeigen schon sicht- und spürbare Abnutzung. Unsere Aufmerksamkeit wurde schon bald von den freundlichen, aber bestimmten Erklärungen des Türhüters darauf gelenkt, dass seit kurzem eine sogenannt letzte Generation sich auch an solchen Orten berufen fühlt, der Klimakatastrophe medienwirksam entgegenzutreten. Daher mussten nun selbst die kleinsten Handtaschen der Besucher im Schließfach verschwinden.

Auf diesem Umweg kamen wir erfreulicherweise zu einem Audioguide, der uns schließlich hervorragende Dienste leistete. Die virtuelle Museumsführerin berichtete im Vorraum der Ausstellung von der Lebenssituation des Künstlers Donatello: Florenz war zum Ende des 14. Jahrhunderts die Bühne, auf der die Medici Macht und Pracht entfalteten. Als Aufsteiger bürgerlicher Herkunft glich ihr Lebensstil dem des Adels. Man stellte Reichtum und Macht formvollendet zur Schau. Mäzenatentum war nicht einfach nur Ausdruck der Liebe des großen Cosimo de Medici zur Kunst. Gerade als Emporkömmling bedurfte er bei seinen politischen Ambitionen zur Legitimation der Macht und Herrlichkeit der schönen Form. Von seinem Mäzenatentum profitierten Bildhauer wie Donatello, Architekten wie Brunelleschi und auch die Humanisten, denen Cosimo de Medici so manche Aufträge verschaffte.

Letztere fanden in der antiken Gelehrsamkeit und Freude an der Kunst einen neuen Blick auf ihre Welt. In ihren Augen wurde die nachrömische Epoche zum bloßen Mittelalter, und es hieß seitdem, es sei finster gewesen. Wenn von der Gotik gesprochen wurde, spielte man damit auf die Herkunft der Germanenvölker aus dem dunklen Norden an. Diese Kunstform galt unter Experten noch bis in Goethes Tage als wirrer Ausdruck roher Verrücktheit. Mit der Renaissance, so sahen es die Humanisten und ihre Nachfahren, begann nach beinahe tausend Jahren der Verdüsterung endlich eine kulturelle Wiedergeburt der Antike. 1386, im Geburtsjahr des Wollschaber-Sohnes Donato, befinden wir uns noch im Trecento, der Phase der Früh-Renaissance. Im Quattrocento erblühte dann allenthalben der neue Blick auf die Welt in der Kunst. Von der Plastik ausgehend hielt er auch in der Malerei Einzug und anschließend in der Sprache eines Petrarca und Dante.

Warum küren nun die Ausstellungsmacher gerade Donatello als Bildhauer zum „Erfinder der Renaissance“? Ein derartiges Motto mutet zunächst ein wenig plakativ an; doch beim Ausstellungs-Rundgang füllte es sich zusehends mit Gehalt. Vor uns eine Marmorskulptur des jungen David. Bereits im Alten Testament erscheint der künftige König David als ungestümer Held. Donatellos Jüngling stützt seinen linken Fuß demonstrativ auf das Haupt des gerade erschlagenen Goliath. Das Motiv selbst zählt noch ganz zum christlichen Bilder-Inventar; die Formensprache Donatellos jedoch geht unbekümmert vom religiösen Gehalt neue, eigene Wege: Routiniert inszeniert sich hier ein pubertärer Bursche in frech-überlegener Siegerpose.

Es folgt im weiteren Rundgang eine Terracotta Maria mit Kind, ein Motiv also, bei dem kaum Spielraum für die Verweltlichung der Mutter Gottes gegeben ist. Hier fällt zuerst die steile Form der Nase auf. Sie erinnert an die der griechischen Göttin Athene. Derselben antiken Nase begegnen wir dann erneut in einem Flachrelief, bei der Pazzi-Madonna. Hier nun geschieht für den Betrachter ein kleines Wunder: Der etwa 80cm große flache Marmor-Quader verwandelt sich für uns in ein Fenster, das in die Tiefe des Raumes blicken lässt. Donatellos bildhauerische Kunstfertigkeit lässt bei wenigen Zentimetern Bearbeitungstiefe des Marmors das Madonnen-Bildnis in Zentralperspektive aufscheinen. Solche Schiacciato, wörtlich gequetschte Reliefs, zählen gewissermaßen zu seinen Bravourstücken.

Das Ergreifende und das eigentlich geheimnisvoll-Rätselhafte an seiner Kunst kommt in diesem Meisterwerk deutlich zum Ausdruck. Während gotische Madonnen immer so etwas wie ein Verzeichnis der allegorischen Merkmale des Marienhaften vor dem Betrachter aufblättern, kommt bei Donatello erstmals eine individualisierte Gefühlstiefe in beiden Figuren zum Ausdruck. Wir sehen keine nur demütig-verklärt auf ihren Sohn schauende Madonna. Bewegend wirkt der differenzierte Gefühlszustand einer innigen Mutter-Kind-Beziehung: Mit zärtlicher, aber auch gleichzeitig betrübt-ernst wirkender Geste berührt Maria mit ihrer Stirn sanft die des lächelnden Jesus-Kindes. Indem sich beide so aneinander geschmiegt dabei in die Augen schauen, wirken sie völlig auf sich bezogen in intimer Versunkenheit.

Ein weiteres Novum macht das Neue der Renaissance-Kunst aus. Was heute für uns ein selbstverständlicher Modus des Sehens ist, die Zentralperspektive, war im Trecento noch nicht entdeckt. Die Künstler des Mittelalters ordneten Figuren noch hierarchisch nach deren religiöser oder gesellschaftlicher Stellung. Diese ideologische Perspektive kennen wir von byzantinischen Fresken bis hin zur Malerei des Trecento. Ohne eigentliche Raumtiefe reihen sich die Figuren ornamenthaft neben- oder hintereinander. Blickt man durch ein Fenster, auch dort nur flächenhafte Anordnung von Bild-Elementen, die uns an die naive Kunstfertigkeit kleiner Kinder erinnern. Was wir heute eine Landschaft nennen, ist noch nicht als spezifische Struktur der Zuordnung ihrer sie bestimmenden Elemente erfasst, sondern durch Merkmale, die sie allegorisch repräsentieren.

In der Malerei finden wir auch im Kernland der Renaissance bis ins Quattrocento das Gotische vorherrschend: Jede Figur eine wandelnde Allegorie, eine Ansammlung von identifizierenden Kennzeichen. Sie waren als Kanon vorgegeben, dessen Einhaltung eine Marienfigur erst zum gültigen Kunstwerk erhob. Es galt das kindliche Prinzip: Maria ist, wenn alles marienmäßig aussieht. Wie bei den Scholastikern, der mittelalterlichen Philosophie, herrschte auch in der Malerei eine realistische Detail-Versessenheit, die bis in die Ausarbeitung der Schamhaare reicht. Kunst und Handwerk gingen noch gleiche Wege.

Wir sehen heute in der mittelalterlichen Kunst den Ausdruck tiefer Religiosität. Vermutlich zeigt sich schon im 12. Jahrhundert eine Tendenz zu propagandistischer Übertreibung, die als Reaktion auf den Verlust religiöser Transzendenz zu verstehen ist. Diese Kunst lässt das schon Verlorene gleichsam durch alle Ritzen scheinen. Daran liegt es wohl, dass insbesondere die spätmittelalterliche Literatur zu einer Geschwätzigkeit neigt, die in immer gleichen Formen und Bildern oberlehrerhaft didaktisch zur Einhaltung einer Tugend (mâze) aufruft. Das zur Darstellung Gebrachte wird gewissermaßen in symbolischer Vermittlung mehr definiert als zur Anschauung gebracht.

In der Plastik ist dieser Weg versperrt. Hier kann sich das Gemeinte allein in der Formung ihrer Oberfläche zeigen. Ihre Ausdrucksmittel sind Räumlichkeit bzw. Leiblichkeit. Die Plastik verlangt eine Reduktion auf die äußere Hülle. Und so kommt es dann zu dem Paradox, dass gerade die Knappheit der Mittel Donatello dazu bringt, etwas bisher Ungesehenes sichtbar zu machen, was vor ihm noch keiner gesehen hatte. Indem der Künstler nichts hinter den Dingen suchte, ordneten sich ihm diese Dinge auf neuartige Weise: Er entdeckte die Zentralperspektive. Dadurch gerät der irdische Mensch in den Brennpunkt und wird nun seiner leiblichen Natur getreu zur Erscheinung gebracht.

Bei einem Motiv-Vergleich eines Gemäldes aus derselben Zeit lässt sich die Umwälzung erahnen, die mit Donatellos Bildwerken als Renaissance eingeläutet wurde. Er legte den Sinn und die Bedeutung des Leiblich-Räumlichen frei, zog gewissermaßen die Decke des ideologischen Scheins fort. Donatello entdeckte die Räumlichkeit der Welt als die Sphäre, in der der Mensch der Renaissance nun aufgerufen war, die Dinge fortan in einem neuen Licht zu ordnen.

Kommen wir auf die David-Skulptur vom Beginn der Ausstellung zurück. Der biblische Jüngling hatte mit seiner beherzten Tat den Riesen Goliath als einen bisher Unbezwingbaren zu Fall gebracht. Vom Schöpfer der Statue heißt es, Donatello habe bei seiner Arbeit am marmornen David dem Steinklotz angedroht, wenn er nicht endlich zu reden beginne, dann solle er „die Scheißerei“ bekommen. An diesen recht deutlichen Worten ahnen wir, was es dem Künstler abverlangte, im Steine das innerseelische Minenspiel lebendig zu machen.

Eigentlich schade, dass wir unseren heutigen Architektur-Designern nicht manches in den Worten Donatellos zurufen können, auf dass sie doch ein wenig menschenfreundlicher zu Werke gingen. An seinen Ausruf erinnerten wir uns, als wir nun in umgekehrter Richtung wieder zurück in die City West einbogen. Hier, von großsprecherisch betonierter Ideologie umgeben, lud wenig zum Verbleiben ein. Der Entdeckung der Zentralperspektive müsste wohl noch die Geburt einer menschengemäßen Lebenswelt folgen, um die Unwirtlichkeit unserer Städte zu überwinden.